1. „PROSTITUTION IST EINER DER ÄLTESTEN BERUFE DER WELT.”
Lassen Sie uns die Perspektive wechseln: Zuhälterei könnte tatsächlich als der älteste Beruf der Welt gelten. Aber nur weil etwas seit langer Zeit existiert, bedeutet dies nicht, dass es nicht geändert werden kann oder sollte. Wir sagen schließlich auch nicht „Mord gab es schon immer, da können wir nichts machen.“ Denken Sie an die Todesstrafe oder Sklaverei.
EINE FREIE ENTSCHEIDUNG?
2. “ES IST EIN JOB WIE JEDER ANDERE AUCH.”
Kennen Sie einen anderen Job, bei dem die Sterberate 10 bis 40 Mal über dem Durchschnitt liegt? Bei dem 60 bis 80% der “ArbeiterInnen“ regelmäßig sexuell oder psychisch missbraucht werden? Wenn es ein Job wie jeder andere ist, wie kann es sein, dass so wenig Frauen aus Westeuropa diese Chance ergreifen? Wie kann es sein, dass die überwältigende Mehrheit Migrantinnen sind? Bedeutet das, dass dieser sogenannte “Job” nur für die EinwanderInnen in Ihrem Land gedacht ist? Sollten wir diesen Job, im Sinne der Gleichberechtigung, auch unter Männern anpreisen? Es gibt Gewerkschaften, die Prostitution nicht als normalen Job sehen, da dieser mit bestimmten Kriterien wie zum Beispiel Sicherheit, Würde und Aufstiegsmöglichkeiten eines Berufes unvereinbar ist.
3. “PROSTITUTION BRINGT FRAUEN, UND VOR ALLEM MIGRANTINNEN, ÖKONOMISCHE UNABHÄNGIGKEIT.”
In Zeiten der Krise, mit hoher Arbeitslosigkeit und zunehmendem Rassismus, wäre es sehr einfach zu sagen, dass Prostitution eine Lösung für Frauen im Allgemeinen und Migrantinnen im Speziellen sei. Es würde sogar helfen die Arbeitslosenzahlen zu senken! Aber die tatsächlichen Probleme für Migrantinnen liegen woanders: im Arbeitsmarktzugang, der Anerkennung von Bildungsabschlüssen und den Rechten zur Familienzusammenführung.
Ökonomische Unabhängigkeit sollte nicht um den Preis von Gewalt und Missbrauch erreicht werden. Im 21. Jahrhundert müssen wir dies anders lösen.
4.“ES IST EINE FREIE WAHL.” “Wenn Frauen in dieser Gesellschaft mehr wirtschaftliche Wahlmöglichkeiten hätten, dann würden sie nicht wählen, in der Prostitution missbraucht zu werden,“ sagte Fiona Broadfoot, Überlebende aus Großbritannien. Wahlfreiheit ist immer innerhalb eines Kontexts zu betrachten. Und im heutigen Europa ist Gleichstellung noch immer nicht vollkommen erreicht: Betrachten Sie nur den gender pay gap (16%), die Verbreitung von Gewalt gegen Frauen (1 von 5 Frauen wird in ihrem Leben Opfer Häuslicher Gewalt), Sexistische Stereotype, die Unterrepräsentation von Frauen in der Wirtschaft, den Hochschulen und der Politik (24% nationaler Abgeordneter)… In einem Kontext, in dem Frauen Diskriminierung, Armut und Gewalt erleben, kann auch Zustimmung zu sexuellen Handlungen mit Geld erkauft werden. Umfassende Untersuchungen zeigen, dass Armut, der Verlust der Familie, Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und eine Vorgeschichte von physischem und sexuellem Missbrauch junge Frauen in eine verletzliche Position bringen und so zu Prostitution führen kann. Darüber hinaus sind die Frauen, die beginnen sich zu prostituieren meistens sehr jung. Würden Sie wollen, dass sich Ihre Tochter oder Schwester für die Prostitution entscheidet? Sie könnte schon morgen anfangen.
5. “PROSTITUTION BRINGT VIEL GELD.” Wem? Nach Angaben von Interpol verdient ein Zuhälter 110 000 Euro pro Jahr pro Prostituierte. Wie kommt es, dass die Mehrheit der Frauen, die sich prostituieren, selbst kein Auto und keine Wohnung besitzen oder Geld für die Zukunft sparen, wenn es doch ein solch rentabler Job ist? Die Idee, dass Prostitution viel Geld bringt, ist ein Mythos. Zudem ist die Debatte über Geld eine unehrliche Strategie: Egal wie hoch die Summe ist, Prostitution bedeutet, dass sich jemand Zugang zu Ihrem Körper und zu Ihrer Sexualität erkauft. Aber Menschen sind unbezahlbar.
6. “BEI PROSTITUTION GEHT ES UM SEXUELLE FREIHEIT, EIN PROSTITUTIONSVERBOT IST SEXFEINDLICH.”
Lassen Sie uns genauer sein: über wessen sexuelle Freiheit sprechen wir? Jede und Jeder stimmt
zu, wenn wir sagen, dass sexuelle Freiheit darin besteht, dass wir über unsere sexuelle Gesundheit
und Rechte, basierend auf Gleichheit, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt (Definition der
Weltgesundheitsorganisation) verfügen. Prostitution hat nichts mit Sex zu tun, sondern mit Macht: der Kauf von Sex bedeutet die Aberkennung der Lust des anderen Menschen. Für Sex zu bezahlen ist die Aberkennung dieses individuellen Rechts und beinhaltet eine weitreichende Entmachtung der sexuellen Selbstbestimmung eines Menschen. In anderen Worten: wer von sexueller Freiheit spricht, kann damit nie Prostitution meinen. Die Menschen, die die Abschaffung der Prostitution befürworten, sind für Sex: sie möchten authentische sexuelle Freiheit und Gleichheit zwischen Frau und Mann. Und dies kann nicht erreicht werden, solange Sexualität unter Einfluss des Marktes steht.
SEXUELLE FREIHEIT?
7. “PROSTITUTION IST TEIL DES LANGEN KAMPFES DER FRAUEN ÜBER IHREN EIGENEN KÖRPER ZU VERFÜGEN.”
Frauen haben in der Tat in den 1970ern in Europa für die Anerkennung ihrer reproduktiven und sexuellen Rechte gekämpft, vor allem für das Recht auf eine sichere Abtreibung. Sie haben strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und jede Autorität angeprangert, die ihre Sicht über die Rechte der Frauen zu stellen versuchte: Religion, Tradition… und den Markt. Die Kommerzialisierung der Sexualität und des Körpers der Frau kann nicht als ein Teil diesen Kampfes gesehen werden: bei Prostitution geht es um Männer, die sich selbst berechtigen Sex zu kaufen, nicht um die Verwirklichung der Gleichheit.
8. “MANCHE FRAUEN BEHAUPTEN, ES SEI IHR RECHT SICH ZU PROSTITUIEREN.”
Manche Menschen akzeptieren es unter dem Mindestlohn zu arbeiten (vor allem nicht erfasste
MigrantInnen zum Beispiel); manche akzeptieren es sogar ihre Organe zu verkaufen. In beiden Fällen hat unsere Gesellschaft entschieden die verletzlichste Gruppe zu beschützen und so ein angemessenes Leben für alle zu garantieren: denn in solchen Fällen sieht das Recht vor, die ArbeitgeberIn oder
die KäuferIn des Organs zu verurteilen. So sollte das Gesetz auch die KäuferIn des Sex kriminalisieren, nicht die Person, die sich prostituiert. Manche Menschen können vielleicht wirklich behaupten sich frei für die Prostitution entschieden zu haben, aber eine demokratische Gesellschaft gründet sich nicht auf Basis individueller Behauptungen, welche nicht die Situation der Mehrheit widerspiegeln. Hier steht die Zukunft, die wir gestalten, die Gesellschaft, in der wir leben möchten, auf dem Spiel. Und in diesem Moment sollte es uns wichtiger sein für das Recht von Frauen und Männern zu kämpfen, sich nicht zu prostituieren.
9. “NUR “SEXARBEITERINNEN“ SOLLTEN ÜBER DIESES THEMA SPRECHEN, DA SIE SICH DAMIT AM BESTEN AUSKENNEN.”
Sollten nur Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt
geworden sind, über diese Form von Gewalt gegen
Frauen sprechen dürfen? Häusliche Gewalt ist
als strukturelle Form der Gewalt gegen Frauen
anerkannt, die uns alle betrifft, Männer und Frauen,
da es hier um gesellschaftliche Werte geht. Auch
Prostitution geht uns alle an: sie vermittelt jungen
Menschen Werte und Modelle, sie wird von den
Medien und der Kulturindustrie trivialisiert und sogar
verherrlicht. Kein Wunder, dass die Beleidigung
„Hure“ so weit verbreitet ist! Für jede in den Medien
präsentierte SexarbeiterIn gibt es viele Überlebende
der Prostitution, die sich wegen ihrer Traumata
auf Grund ihrer Erfahrungen nur selten äußern.
Und Millionen von Menschen in der Prostitution, die
unsichtbar sind. Es ist Zeit diesen zuzuhören.
10. “PROSTITUTION IST NÜTZLICH FÜR DIE
GESELLSCHAFT, VOR ALLEM FÜR SOZIAL ISOLIERTE UND EINSAME MÄNNER.”
Sexkäufer entsprechen nicht diesem Stereotyp:
Internationale Studien zeigen, dass die Mehrheit
der Sexkäufer verheiratet oder in einer Beziehung
sind und zudem öfter eine größere Anzahl von
SexualpartnerInnen hat, als der Rest der männlichen
Bevölkerung. Die Prostitution als soziale Institution zu
rechtfertigen würde bedeuten, dass manche Frauen
für die “Bedürfnisse“ dieser Männer geopfert werden
müssten. Glücklicherweise sind Sie, Ihre Schwester/
Frau/Tochter/Freundin keine davon. Frauen in der
Prostitution sind zuallererst Frauen, sie sollten alle
dieselben Rechte und dieselbe menschliche Würde
genießen.
11. “DIE NACHFRAGE WIRD NIEMALS VERSCHWINDEN.”
Was für eine traurige Vision von Männern..: Ginge
man nach dieser Annahme, wären Männer ihren
sogenannten “ununterdrückbaren Bedürfnissen“
ausgeliefert und handelten nicht mit ihrem Verstand.
Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt,
dass die Mehrheit der Männer keine Freier sind. Die
Nachfrage wird mit einer bestimmten Vorstellung von
Männlichkeit begründet, die mit ihrer “Virilität“ oder
Stärke zu tun hat, also mit Stereotypen über Männer
in unserer ungleichen Gesellschaft. Nachfrage kann
durch Bildung, Prävention und Gesetze reduziert
werden. So einfach ist das. Fatalismus wird von
Menschen benutzt, die unsere Gesellschaft nicht
ändern möchten.
12. “PROSTITUTION ABZUSCHAFFEN WÜRDE ZU MEHR VERGEWALTIGUNGEN FÜHREN.”
In Wirklichkeit ist es andersherum: Studien haben
gezeigt, dass Männer Sex kaufen, weil es möglich ist.
Die Normalisierung von Prostitution fördert Gewalt
gegen Frauen, indem signalisiert wird, dass Frauen
Waren sind. Nevada, wo Zuhälterei legalisiert wurde,
weist im Vergleich mit anderen amerikanischen
Bundesstaaten die höchsten Vergewaltigungszahlen
auf. In einer Studie über Männer gaben 54%
der Freier an, sich aggressiv gegenüber ihren
SexualpartnerInnen verhalten zu haben.
SOZIALER NUTZEN?
13. “DIE LEGALISIERUNG DER PROSTITUTION IST DER BESTE WEG DEN ZUGANG ZU GRUNDRECHTEN FÜR
MENSCHEN IN DER PROSTITUTION ZU GARANTIEREN.”
Sich zu prostituieren ist überall in Europa „legal“
(bis auf in Kroatien, wo es strafbar ist). Der Zugang
zu Grundrechten ist nicht an den legalen Status
von Prostitution geknüpft, es liegt vielmehr am
Migrationsstatus einer jeden Person: wenn Sie
legal in einem Land leben, haben Sie Zugang zu
Grundrechten, HIV-Tests und Krankenversicherung.
Wenn Sie jedoch keine Aufenthaltsgenehmigung
haben, werden Sie keinen Zugang zu diesen Rechten
haben, so auch in Ländern, in denen Prostitution
legal ist. Dies hat nichts damit zu tun, ob Sie sich in
der Prostitution befinden oder nicht. In Deutschland
haben sich lediglich 44 von vermuteten 400 000
Menschen als SexarbeiterInnen registriert.
Prostitution zu legalisieren (oder „Sexarbeit“ und
damit auch Zuhälterei zu entkriminalisieren) ändert
nichts an dem Stigma der Menschen in Prostitution.
14. “WIR MÜSSEN GEGEN MENSCHNEHNADEL VORGEHEN, ABER PROSTITUTION HAT DAMIT NICHTS ZU TUN.”
Solche Behauptungen widersprechen der Realität:
wenn Prostitution nichts mit Menschenhandel zu tun
hat, warum genau werden Frauen gehandelt? Nach
Angaben der EU geschieht 62% des Handels mit dem
Ziel einer sexuellen Ausbeutung. Menschenhandel
agiert profitorientiert und steht in direkter Verbindung
mit den Märkten der Prostitution, auf denen die
Nachfrage das Angebot bestimmt. Schätzungen
zufolge liegt der Gewinn aus Menschenhandel für
sexuelle Ausbeutung bei 27.8 Milliarden US$. Und
woher kommt dieses Geld? Von den Käufern, wie auch
in jedem anderen Geschäft. Deshalb sind Prostitution
und Menschenhandel untrennbar miteinander
verbunden.
UTOPIE?
15. “PERSONEN, DIE SICH PROSTITUIEREN, SIND
IN SCHWEDEN MEHR GEWALT AUSGESETZT, DA
PROSTITUTION DORT NUR NOCH VERSTECKT
GESCHIEHT.”
Wenn die Käufer Prostituierte finden können, können
das auch die Polizei und SozialarbeiterInnen! Die
Kriminalisierung von Sexkäufern führt aber zu einer
Veränderung des Verhältnisses zwischen Frauen und
Käufern: die Käufer sind die Kriminellen. Prostituierte,
die in Deutschland waren, bevor sie nach Schweden
gingen, sagten zur Prostitutionsbekämpfungseinheit
der Stockholmer Polizei, dass es viel mehr Gewalt
in legalen Bordellen gäbe, da die dortigen Käufer als
„Kunden“ alles machen dürften. SolzialarbeiterInnen
geben an, dass Prostituierte sich in Schweden nun
sicherer fühlten und selbst nach Hilfe fragten. In
Ländern, in denen Bordelle legal sind (wie Österreich
oder Deutschland) hingegen, wird der Zugang zu
den Frauen beschränkt. Die Legalisierung von
Prostitution wird die Wirklichkeit nicht verändern:
Prostitution ist eine Form von Gewalt. 68% der Frauen
in Prostitution leiden unter einer Posttraumatischen
Belastungsstörung, so wie Opfer von Folter oder
Kriegsveteranen.
16.“WIR SOLLTEN DIE SEXKÄUFER NICHT BESTRAFEN, DA SIE FRAUEN RETTEN ODER OPFER VON MENSCHENHANDEL IDENTIFIZIEREN KÖNNEN.”
Vielleicht haben Sie zu oft „Pretty Women“ gesehen. Ein Sexkäufer, der eine Frau „rettet“, oder einen Fall von Menschenhandel anzeigt, ist und bleibt ein Sexkäufer; die Existenz von „netten Sexkäufern“ reduziert die Nachfrage nicht, dies verwechselt lediglich eine romantische Vorstellung von Prostitution mit der Realität. Darüber hinaus handelt es sich dabei um eine verschwindend geringe Anzahl unter den Freiern. Ihre Webseiten und die darauf veröffentlichten Kommentare sind in dieser Hinsicht sehr entlarvend: „Ordentlicher Blowjob, aber schlechte Einstellung, da sie nicht einmal so tat, als würde sie es interessieren oder genießen“, “es war als ficke man einen attraktiven Kartoffelsack.“ (The invisible men Tumblr).
17. “ABOLITIONISTINNEN WOLLEN PROSTITUTION VERBIETEN.”
Es gibt einen großen Unterschied zwischen der restriktivsten Herangehensweise der Prohibition, die alle Beteiligten (auch die Prostituierten selbst) bestrafen will, und der weniger restriktiven Herangehensweise der Abolition, die ausschließlich auf die Käufer, Zuhälter und Händler zielt, sprich, auf die Personen, die die Macht der Entscheidungsfreiheit haben. Jeden und jede zu bestrafen ändert nicht die Basis des Systems und die vergeschlechtliche Natur der Prostitution. Bei der Abolition handelt es sich darum, auf die strukturellen und ökonomischen Probleme und die psychologische und physiologische Gewalt, die Teil der Prostitution ist, einzugehen und daher die betroffenen Personen zu beschützen und die Täter, wie zum Beispiel die Käufer, zu bestrafen. Die AbolitionistInnen wollen darüber hinaus konkrete Alternativen für Prostituierte schaffen und Mentalitäten ändern.
18. “DIE ABSCHAFFUNG VON PROSTITUTION IST EINE UTOPIE.”
Prostitution abzuschaffen bedeutet nicht sie auszulöschen. Vergewaltigung, Mord und Pädophilie sind verboten, aber existieren weiterhin. Wichtig ist die soziale Norm, die durch die Gesetzgebung vermittelt wird: sie verankert in den Menschenrechten, dass der menschliche Körper und Sexualität nicht zu kaufen sind. Dies erschafft eine Bedingung, unter der eine tatsächliche Gesellschaft der Gleichheit umgesetzt werden kann.